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Aufwachen. Denken. Schreiben.

Oft gehe ich durch mein Leben, als wäre ich ein Ding. Ich tue etwas so, als würde es getan. Als wäre ich nur Körper, eine Maschine, tot. Manchmal, wenn mir das bewusst wird, versuche ich lebendig zu werden, indem ich das, was ich tue, innerlich kommentierend mitspreche.

Wenn ich ins Bad gehe, denke ich dann: Ich gehe jetzt ins Bad.
Wenn ich dort dann in die Ecken, auf die weißen Fließen starre, denke ich: Ich starre in die Ecken, auf die weißen Fließen.
Und dann passiert etwas, das vielleicht banal klingt, das aber wichtig ist: Denn auf einmal denke ich noch mehr, als das, was ich tue. Ich denke: Ich starre da hin, um zu sehen, wie viele Haare dort liegen und wie viele Flecken sich schon gebildet haben. Ich schaue so, weil mich der Dreck ekelt und ärgert und ich mit meinem Blick prüfen will, ob ich mal wieder putzen sollte bzw. ob von den anderen immer noch niemand geputzt hat.

In dem Fall betrifft, was ich da so mein Tun kommentierend denke, etwas Alltägliches. Aber schon hier ändert sich dadurch wie ich das tue: Ich handle langsamer. Was ich tue, fällt mir auf. Ich werde mir meiner Selbst bewusst. Dabei komme ich meiner Gewohnheit (die Fließen prüfen), meinen Gefühlen (dem Ekel) und meinen Beziehungen (den Ärger über die Anderen) auf die Spur.

Das Aufschreiben im Nachhinein verändert dann wiederum das Gedachte. Schreiben ist die zweite Verlangsamungsstufe. Gerade im Bad dachte ich beispielsweise gar nicht über den Dreck auf den Fließen nach. Doch als ich hier am Tisch saß und über das Baderlebnis zu schreiben begann, da sah ich mich in meiner Vorstellung ins Bad hineingehen - und auf einmal sah ich mich die Bondensauberkeit prüfen (weil ich das sehr häufig beim ins Bad gehen tue), obwohl das dieses Mal eben gerade nicht geschehen war!
Und damit ist alles gesagt zu: Aufwachen. Denken. Schreiben :-)

27. Mai 2020

Ein Brief an mich selbst - Reflexionen über Beratungserfahrungen

Was geschieht eigentlich, wenn du Menschen berätst, wenn du ihnen in einem abgeschlossenen Raum auf einem Stuhl gegenübersitzt? Menschen, die du teilweise in diesen Minuten zum ersten Mal siehst, die bis dahin schon 30 oder 66 Jahre ihres Lebens gelebt haben, die also unzählige an Erfahrungen gemacht, an Freuden und Enttäuschungen erlebt haben, von denen du nichts weißt, die du nur erahnen kannst?

Dass du ihnen in ein paar Begegnungen helfen kannst, ist zweifelhaft. 

Dass sie glauben, dass du ihnen helfen kannst, ist ein Geschenk. Sie haben sich schon aufgemacht, innerlich wie äußerlich, und sind damit einen ersten großen Schritt zur Veränderung gegangen. Sie haben Hoffnung auf ein besseres Leben. In dieser Hoffnung liegt eine Kraft und aus ihr scheint die Würde des Menschseins. 

Diese Menschen können dir darin ein Vorbild sein: Als die, die sich aufgemacht haben, für sich zu Sorgen, kannst du zu ihnen aufschauen.

 

Doch als Berater erwarten sie etwas von dir. Das darfst du wissen, es aber nicht dir und deinen Fähigkeiten zuschreiben. Im Grunde seid ihr gleich, seid Menschen, die gut leben wollen. Deine Klienten (das sind sie, solange sie zu dir kommen) schreiben dir - je nach dem - Weisheit, Intelligenz, Ruhe, Wissen und eine gute Ausbildung zu. Sie glauben, dass sie bei dir mit jemandem sprechen, der sie verstehen will. Da ist jemand, der sich Zeit nimmt, für sie, nur für sie. Das genießen sie, das brauchen sie, dadurch fühlen sie sich gesehen, wertgeschätzt, anerkannt. Dass du den Klienten das schenken kannst, dafür kannst du wiederum wenig: Du kannst dich, neben vielem, über das du dich ärgern kannst, beim Staat, deinem Arbeitgeber, deinen Eltern und so weiter bedanken. 

Aber du kannst dir der Rolle, die du für deine Klienten hast, bewusst sein. 

Sie erwarten etwas von dir. Sie erwarten, dass du nicht nur Zeit, sondern auch inneren Raum für sie hast. Dass du zuhörst, nachfragst, freundlich und zugewandt bist. Dass du sie nicht abwertest, dass du nicht abschweifst, unehrlich oder heuchlerisch bist.
Sie verdienen einen Menschen, der sich ihnen mir seiner ganzen Kraft widmet


Daher: Komme ausgeruht zur Arbeit. Gehe wach und ruhig in deine Gespräche. Das hast du noch nicht immer geschafft, aber immer öfters.

Außerdem: Sei mutig. Gehe Risiken ein. Experimentiere. Wirf dich mal in eine Methode und vertraue, dass du ein so gutes Gespür für dich und den Klienten hast, dass das klappen wird.
Frag nach Gefühlen. Halte Stille aus. Erwarte nicht zu viel von dir. Rechne mit Ängsten vor Veränderung bei deinen Klienten. Habe den Mut, eure Beziehung zu reflektieren und deine eigenen Gefühle zu benennen. 

Und hoffe, hoffe gemeinsam mit deinen Klienten, dass etwas besser werden kann. Ja, sei ansteckend in deiner Hoffnung, in deinem Blick für die Möglichkeiten der Menschen – und das ohne Druck auszuüben.